Die Stierwascher

Sagen aus Österreich: Teil 2 Salzburg – Unsere heutige Sage spielt in der Mozartstadt Salzburg.

Vor ein paar hundert Jahren ist die Stadt Salzburg von einem starken Feind belagert und eingenommen worden. Wer konnte, hatte sich auf die Festung Hohensalzburg geflüchtet. Die Menschen haben Vieh und Lebensmittel für lange Zeit mitgenommen.
Handgemalter Stier in Schwarz-weiß. Wilder Bulle. Die StierwascherNun steht die starke Festung Hohensalzburg auf einem hohen Felsen. Der Feind merkte bald, dass sie durch Kampf kaum einzunehmen war, und entschloss sich, sie zu belagern und auszuhungern.
Das wäre vielleicht sogar gelungen. Für so viele Leute waren auf Dauer die Lebensmittelvorräte zu gering, und die Menschen, die in der Burg Zuflucht gesucht hatten, wurden schwach vor Hunger und die Verteidiger hatten auch kaum mehr Kraft. Und dass der Feind freiwillig abzöge, war nicht zu hoffen. Eines Tages waren alle Vorräte aufgegessen und alles Vieh geschlachtet – bis auf einen einzigen weißen Stier.
Der Burghauptmann überlegte, ob er nicht auch diesen Stier schlachten lassen und den Verteidigern der Burg zu essen geben sollte. Vielleicht konnten sie doch noch einen Ausfall wagen. Aber er wusste zugleich, es würde auch nicht viel helfen, diesen letzten Stier zu schlachten. Da fiel ihm plötzlich ein, dass man die Angreifer durch eine List zum Abzug bewegen könnte.
Er ließ den Stier holen und befahl, ihn für die Feinde gut sichtbar oben auf dem Festungswall herumzuführen und ihn dabei zu zwicken, dass er laut brülle.
Da wüssten die unten, dass es gewiss keine ausgestopfte Tierhaut war, wie dies andernorts von Belagerten versucht worden war.
So führten sie also den weißen Stier auf dem Wall, für den Feind sichtbar, herum und der Stier brüllte laut.
Nun befahl der Burghauptmann, den Stier braun anzumalen. Als das geschehen war, wurde der braune Stier auf dem Burgwall herumgeführt, und auch der braune Stier brüllte laut und lebendig. Sie führte ihn wieder herab, und nun wurde er schwarz gefärbt und brüllend auf dem Wall herumgeführt.
Wirklich und wahrhaftig, nun zogen die Belagerer ab. Sie wollten nicht länger eine Festung belagern, in der noch so viel lebendiges Schlachtvieh vorhanden war. Als der Feind fort war und die Geflüchteten in ihre Wohnstätten in der Stadt Salzburg zurückkamen, führten sie den schwarzen Stier zur Salzach und wuschen die schwarze und die braune Farbe von ihm herunter, und da wurde er wieder weiß.
Bald hieß es in der Gegend, die Salzburger seien seltsame Leute, sie hätten einen schwarzen Stier weißgewaschen. Und so bekamen sie den Spitznamen „Stierwascher“. Leute, die nicht wussten, wie das alles zugegangen war, spotteten über die „Stierwascher“. Aber die, die es wussten, haben über die dummen Spötter gelächelt. Es gibt nichts zu spotten, wenn durch eine List eine ganze Festung voller Menschen gerettet wird.
Später, um das Jahr 1500, hat man dann zur
Erinnerung an das Geschehnis auf der Festung Hohensalzburg eine Orgel gebaut und sie den „Stier von Salzburg“ genannt. Sie wurde zu einem berühmten Wahrzeichen von Salzburg.
Der weiße Stier ist nie geschlachtet worden. Er hat sein Gnadenbrot auf der Festung Hohensalzburg verzehrt, bis er einmal friedlich an Altersschwäche gestorben ist.


Dies ist eine Sage aus dem Buch „Sagen aus Salzburg“:
Friedl Hofbauer, 86 Seiten, G&G Verlag, ISBN: 978-3-7074-2315-0

Cover des Buches Sagen aus Salzburg von Friedl Hofbauer


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