Dr. Medicus Historicus: Die Pocken

Die Coronapandemie ist für die meisten Menschen die erste Pandemie, die sie selbst ­hautnah miterleben, doch es ist nicht die erste der Weltgeschichte. Pandemien und weit verbreitete Krankheiten, an denen Millionen von Menschen erkrankten und auch sehr viele verstarben, tauchten in den letzten Jahrhunderten regelmäßig auf. Durch den medizinischen Fortschritt wie Impfungen, die Entwicklung von Antibiotika und vieles mehr konnte den meisten dieser Erkrankungen der Schrecken genommen werden. Einige sind komplett von der Bildfläche verschwunden, andere kommen nur noch in weit geringerem Ausmaß vor und lassen sich heutzutage gut behandeln. Im Jahr 2022 möchten wir Ihnen in jeder Ausgabe eine Erkrankung vorstellen, die in den letzten Jahrhunderten zahlreiche Menschenleben forderte und die Medizinerinnen und Mediziner vor gewaltige Herausforderungen stellte. Unser fiktiver Mediziner Dr. Medicus Historicus nimmt Sie mit auf eine Reise in die Vergangenheit und beleuchtet wichtige Ereignisse der Medizingeschichte.

Die Pocken

Die Pocken waren eine lebensbedrohliche Infektionskrankheit, die von den Pockenviren (Orthopoxvirus variolae) ausgelöst wurden. Hohes Fieber und ein Ausschlag galten als typische Merkmale dieser schweren Erkrankung. Die Pusteln füllten sich mit Flüssigkeit und hinterließen auffällige Narben, die die Betroffenen ein Leben lang zeichneten.
Wir schreiben das Jahr 1711. Die Pockenepidemie erreicht Österreich und macht weder vor Bettlern noch vor dem Kaiser Halt, der am 17. April in der Hofburg den Pocken erliegt. Zu diesem Zeitpunkt schwirrt der Erreger wahrscheinlich schon seit Jahrhunderten durch die Welt. Aktuelle Forschungen deuten nämlich darauf hin, dass die Pocken bereits im 7. Jahrhundert in Nordeuropa auftraten. Betroffen waren insbesondere Kinder und jüngere Menschen. Verantwortlich für die Erkrankung, die laut Historikern bis zum 20. Jahrhundert bis zu 500 Millionen Menschen das Leben kostete, war das Variola-Virus.

Im Gegensatz zu den Windpocken sind bei Pocken stärker die Extremitäten und das Gesicht vom Hautaus­schlag betroffen. Die Begriffe „schwarze Pocken“ und „schwarze Blattern“ bzw. „Variola haemorrhagica“ bezeichnen eine besonders schwere Form der Erkrankung. Milder verlaufen für gewöhnlich die „weißen Pocken“.

Ein Ausschlag kennzeichnete die Pockenkranken

Schwarz-weiß Zeichung. Schutz vor Pocken. Herstellung der Impfung mittels Kuchpocken-Viren. die Pocken
Die Impfung mit Kuhpocken-Viren (lat. vacca = Kuh) barg für Menschen kaum Risiken, und so gelang es rasch, die Pandemie abzuschwächen. Die Pocken waren über Jahrhunderte hinweg gefürchtet gewesen; erst mit der Pocken­impfung bekam man die Plage in den Griff.

Die hochansteckende Krankheit übertrug sich zwischen Menschen mittels Tröpfchen- und Schmierinfektion. Von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Pocken dauerte es manchmal wenige Tage, gelegentlich auch bis zu 3 Wochen. Der Hautausschlag (siehe Bild), der im weiteren Verlauf auch einen starken Juckreiz auslöste, war das Symbol der Pocken. Die Betroffenen waren zudem gelegentlich verwirrt, klagten über Kopf- und Gliederschmerzen und litten an Fieber. Ein Heilmittel gegen die Pocken existierte damals nicht. Die einzige Behandlungsmöglichkeit bestand in der Linderung der Symptome. Zudem wurden die Erkrankten rasch isoliert, um so die hochansteckende Krankheit einzudämmen. Im Mai 1796 kam es zum Wendepunkt hinsichtlich dieser über Jahrhunderte andauernden Plage.

Die Historie der Pockenimpfung reicht mindestens ins 18. Jahrhundert zurück

3D Darstellung der Pocken-Viren, auch bekannt als Variola
Das tödliche Pockenvirus existiert offiziell nur noch in Hochsicherheitslaboratorien in Russland und in den USA. Pockenviren dürfen nicht mehr erforscht werden.

Im Jahr 1796 nahm der englische Arzt Edward Anthony Jenner die erste Impfung der Medizingeschichte mit Kuhpockenviren vor – andere Impfungen hatten schon einige Jahrhunderte zuvor stattgefunden –, da diese für den Menschen wesentlich weniger gefährlich waren als die „echten“ Pocken. Er nahm den infektiösen Eiter einer an Kuhpocken erkrankten Magd und ritzte ihn in den Arm eines Buben. Dieser entwickelt in den folgenden Tagen an der Einstichstelle Pusteln, die sich allerdings schnell zurückbildeten. Wenige Wochen später injizierte der Arzt dem Jungen das gefürchtete Variola-Virus. Der Bub entwickelte zwar anfangs die typischen Symptome der Pocken, doch er erkrankte nicht und war rasch wieder bei bester Gesundheit. Heute weiß man, dass dank der Impfung spezielle Gedächtniszellen des Immunsystems die Pockenviren erkannten und erfolgreich bekämpften. Heutige Impfstoffe arbeiten übrigens häufig mit demselben Prinzip.

1978 starb der letzte Mensch an Pocken

Foto von Kaiserin Maria Theresia, Fürstin von Österreich aus dem Hause Habsburg. Portrait. Maria Theresia, von Gottes Gnaden römische Kaiserin, Wittib, Königinn zu Hungarn, Böheim, Dalmatien, Croatien, Slavonien, Gallizien, Lodomerien, etc. etc., Erzherzoginn zu Österreich, Herzoginn zu Burgund, zu Steyer, zu Kärnten und zu Crain, Großfürstin zu Siebenbürgen, Marggräfin zu Mähren, Herzoginn zu Braband, zu Limburg, zu Luxemburg und zu Geldern, zu Württemberg, zu Ober- und Nieder-Schlesien, zu Mailand, zu Mantua, zu Parma, zu Piacenza und Guastalla, Fürstinn zu Schwaben, gefürstete Gräfinn zu Habsburg, zu Flandern, zu Tirol, zu Hennegau, zu Kyburg, zu Görz und Gradisca, Markgräfinn des Heiligen Römischen Reiches zu Burgau, zu Ober- und Nieder Lausitz, Gräfinn zu Namur, Frau auf der Windischen Mark und zu Mecheln etc., verwittibte Herzoginn zu Lothringen und Baar, Großherzoginn zu Toskana, etc.Bis die Pocken schlussendlich auf der ganzen Welt besiegt wurden, vergingen dennoch weitere fast 200 Jahre. 1977 wurden in Somalia die letzten Pockenfälle gemeldet – mit einer traurigen Ausnahme: Janet Parker († 11. September 1978 in Birmingham) gilt als das letzte bekannte Todesopfer der Pocken. Allerdings wurde sie nicht von einem anderen Menschen angesteckt, sondern aufgrund von Sicherheitsmängeln in einem Labor. Dort gelagerte Pockenviren waren nämlich über Luftkanäle in das Fotolabor gelangt, in dem die Fotografin arbeitete. Durch ein konsequentes Impfprogramm wurde erreicht, dass im Jahr 1980 die Welt von der WHO für pockenfrei erklärt werden konnte. Da zukünftige Pockenfälle dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden können, gibt es immer noch einen wirksamen Pocken-Impfstoff; die Weltgesundheitsorganisation und zahlreiche Staaten haben einen Vorrat davon auf Lager.

Kaiserin Maria Theresia führte nicht nur die Unterrichtspflicht ein, sie war auch eine wichtige Förderin bei der damaligen Impfkampagne. Sie hatte selbst drei Kinder durch die Pocken verloren. Als sie von der Möglichkeit erfuhr, ließ sie ihre jüngeren Kinder impfen und richtete Orte ein, wo sich die Bevölkerung kostenlos impfen lassen konnte. In Österreich registrierte man die letzten Pockenfälle im Jahr 1923.

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