Der Lindwurm von Klagenfurt

Sagen aus Österreich: Teil 3 Kärnten – Unsere heutige Sage spielt in Klagenfurt.

Wo heute die Stadt Klagenfurt liegt, war einmal nichts als sumpfige Wildnis. Die wenigen Menschen, die im Gebirge rundum wohnten, hüteten sich davor, hinunterzusteigen, denn dort krochen giftige Nebel über den Sumpf und stiegen mitunter sogar ein Stück an den Berghängen hoch. Das geschah immer dann, wenn der Drache, der im Moor unten wohnte, seinen Kopf herausstreckte, sich nach Beute umsah und hungrig brüllte.
Manchmal verirrte sich ein Stück Vieh von den Bergwiesen in das breite, sumpfige Tal, in dem der Lindwurm hauste, aber kein Hirt getraute sich, das verlorene Tier zurückzuholen. Denn dass der Drache nicht nur Vieh, sondern auch Menschen fraß, wusste man aus früheren Zeiten. Damals waren einige Hirten und Holzfäller, die sich in die Nähe des Sumpfes gewagt hatten, aus dem nebeligen Giftdunst nicht zurückgekommen.
Als Herzog Karast von der Karnburg aus regierte, fanden seine Jäger, die durch die Wälder an den Berghängen streiften, eines Tages Spuren von ungeheuren Tatzen.
Und dann und wann kam es jetzt vor, dass eine Kuh oder ein paar Schafe oder Ziegen sogar von den höher gelegenen Almwiesen verschwanden. Da wussten die Leute in den Bergen, dass der gefräßige Lindwurm immer gefräßiger und größer wurde und dass ihm nicht mehr genügte, was er unten am Sumpf sich an Beute fing. Sein Heulen und Schmatzen wurde immer lauter und kam immer näher, und die Menschen wurden immer verschreckter und wagten sich kaum mehr aus ihren Hütten.
Nun fasste der Herzog den Plan, bewaffnete Männer gegen das Ungeheuer auszuschicken. Er versprach ihnen hohen Lohn und ein Stück Land. Ein paar Leute meldeten sich und wollten mit Lanzen und Schilden zum Sumpf hinuntersteigen. Schon von oben sahen sie den Lindwurm am Rand des Ufers im Schilf weiden. Er hatte Schuppen am ganzen Körper und einen langen, dicken Schwanz und im Kopf glühende Augen und im Maul furchtbare Zähne.
Als der Drache die Menschen heruntersteigen sah, fing er an zu zischen wie eine riesige Schlange. Dazu breitete er zwei Flügel aus, als wollte er sich gleich in die Luft erheben. Nun verstanden die Männer auf dem Berghang, wieso neuerdings auch von den höher gelegenen Almwiesen Kühe und sogar mächtige Stiere verschwanden. Sie flohen entsetzt wieder ins Gebirge hinauf und berichteten dem Herzog, der Lindwurm sei von der vielen Beute so kräftig geworden, dass er nun auch fliegen könne. So berieten sie alle zusammen, ob sie nicht besser ihre Heimat verlassen und sich anderswo ansiedeln sollten. Da sagte einer: „Der Drache kann fliegen. Er wird uns verfolgen. Wir sind verloren.“
Ein anderer aber sagte: „So ein Tier ist gefräßig, aber dumm. Vielleicht können wir es überlisten.“ Nun ist es so, dass auch der gefräßigste Lindwurm manchmal schläft. Und je gieriger er ist und je mehr er im Magen hat, desto länger braucht er, um seine Beute zu verdauen.
Der Drache zog sich zum Schlafen in den Sumpf zurück, und die Männer stiegen den Hang hinunter, holten Steine und große Felsbrocken zusammen, bauten eine Art Turm daraus und warteten. Als sie merkten, dass der Lindwurm bald erwachen würde, um erneut nach Beute zu schnappen, holten sie den fettesten Stier, den sie hatten, und banden ihn als Lockspeise an den Turm. Aber vorher hatten sie ihm eiserne Widerhaken an die Hörner gebunden. Dann versteckten sie sich im Turm.
Als der Stier zu brüllen anfing, bewegte sich der Sumpf und der Lindwurm schoss hervor. Schnaubend und mit seinen mächtigen Flügeln und kräftigen Pranken das Wasser schlagend, kam er auf den Stier zu und schnappte nach seinem Kopf. Da biss er auf die Widerhaken.
Der Lindwurm kam nicht mehr los. Die Männer stürzten aus ihrem Turmversteck hervor und schlugen ihn mit eisernen Keulen tot.
Seither gibt es keinen Drachen mehr in der sumpfigen Gegend. Die Menschen kamen von den Bergen herunter, rodeten das wilde Gestrüpp und bauten sich Hütten und Häuser. Seit damals ist das Klagenfurter Becken besiedelt. In Klagenfurt steht zum Andenken an die Drachenzeit ein großer Lindwurm aus Stein, und außerdem hat die Stadt Klagenfurt den Turm und den Lindwurm im Wappen.

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