Sagen aus Österreich – Eine Variation
Sagen aus Österreich: Teil 10, eine Variation – Diese Sagen stammen aus Tirol, Vorarlberg und Oberösterreich.
Frau Hitt
Einst lebte die Riesenkönigin Frau Hitt auf ihrem Schloss in den Gebirgen bei Innsbruck. Damals waren die Berge bis oben hin voller Wälder, blühender Almwiesen und Äcker, auf denen goldig schimmerndes Getreide wuchs. Manchmal kam Frau Hitt aus ihrem Schloss heraus, um mit ihrem kleinen Sohn spazieren zu gehen. Hinter ihnen folgte stets ein Diener mit einem Korb voller herrschaftlicher Speisen. Eines Tages ruhte die Riesenkönigin am Rand eines Ackers aus und sah ihrem Söhnchen zu, wie es am Waldesrand an einem Tannenbäumchen zerrte, um es auszureißen, denn der kleine Prinz wollte sich ein Steckenpferd daraus machen. Dabei rutschte er aus und fiel in einen kleinen Sumpf. Weinend und schlammverschmiert lief das Kind zu seiner Mutter. Frau Hitt rief ihren Diener herbei und befahl ihm, ein Büschel Getreide zu nehmen und den kleinen Prinzen damit sauber zu wischen. Der Diener aber wusste, dass Brot heilig ist, weil es die Hungrigen sättigt, und dass man Brotgetreide nicht vergeuden darf. So wagte er nicht, dem Befehl seiner Herrin zu gehorchen. Die Riesenkönigin erhob sich. Zornig griff sie ins Getreide und riss ein Büschel Ähren ab. Dann begann sie, ihren kleinen Sohn damit zu säubern. Da zogen finstere Gewitterwolken hinter dem Gebirge auf. Von allen Seiten her kamen sie, bis der Himmel schwärzer war als die Nacht. Der grüne Wald und die bunten Wiesen und golden schimmernden Felder waren bald nichts mehr als schwarze, wogende Schatten. Dann begann es zu blitzen und zu donnern und zu regnen. Es regnete tagelang. Als der Himmel wieder blau wurde, gab es dort oben keine Wälder und Wiesen und keine Äcker mehr, nur wüsten Stein und Fels. Auch an der Stelle, wo Frau Hitt zuletzt ausgeruht hatte, war jetzt nichts mehr als Stein. Die Riesenkönigin selbst war ebenfalls in Stein verwandelt worden. Sie steht noch heute dort.
Die schwarze Katze auf dem Zaunpfosten
Der Sohn des Bäckers von Egg, der Peter, ist jeden Samstag von der Arbeit spät nach Hause gekommen.
Und jedes Mal saß auf dem Zaunpfosten eine schwarze Katze und glurte ihn an mit ihren grünen Augen. Jeden Samstag. Einmal wurde es dem Peter zu viel. Schon der Gedanke, dass die Katze da oben sitzt und ihn anglurt, war ihm zu viel. „Wenn sie am nächsten Samstag wieder dort sitzt, hau ich sie herunter“, dachte er. Das nächste Mal nahm er einen Stock mit. Und wirklich – die Katze saß schon wieder auf dem Zaun oben. Da nahm der Peter seinen Stecken und schlug das Tier herunter. Hätte er das nur nicht getan! Denn auf einmal waren überall Katzen um ihn herum, lauter schwarze, es hat nur so gewimmelt von schwarzen Katzen. Getan haben sie ihm nichts, sie haben ihn nur angeschaut – aber wie! Ganz angst ist ihm geworden. Da ist er gesprungen wie noch nie. Am nächsten Samstag musste er wieder am Zaun vorbeigehen. Da saß wieder die Katze oben. Die oder eine andere. In der Nacht schauen doch alle schwarzen Katzen gleich aus. Diesmal hat der Peter aber die Katze oben sitzen lassen, und nichts ist geschehen. Von da an hat er nie wieder einen Stecken genommen und die Katze heruntergeschlagen. Und er hätt’s auch nicht getan, wenn’s eine weiße gewesen wär.
Die drei Sessel
An der Stelle, wo Bayern, Böhmen und Österreich aneinandergrenzen, liegt der Dreisesselberg. Ganz oben stehen drei Sessel aus Stein, jeder in einem anderen Land. Der Sage nach sind sie die drei Sessel, auf denen die Könige der drei oben genannten Länder saßen, wenn sie, jeder in seinem eigenen Land sitzend, miteinander Rat hielten. Eines Tages saßen sie wieder dort und redeten und redeten. Weil nun eine solche Ratssitzung tagelang dauern konnte, gingen einige Herren aus dem Gefolge der drei Könige inzwischen miteinander zum Plöckensteiner See fischen. Im See schwammen sonderbare Forellen. Sie hatten feurige Schuppen und um die Mäulerchen trugen sie rote Tupfen. Die wunderlichen Fische kamen ans Ufer geschwommen und drängten sich nahe zusammen. Die Herren mussten ihre Angeln gar nicht auswerfen, denn die Forellen sprangen ihnen in die Hände. Da sagte einer: „Denen ist wohl langweilig in ihrem finsteren Wasser, die wollen in unserer Pfanne brutzeln!“ Und wahrhaftig, kaum dass das Fett in der Pfanne über dem Lagerfeuer heiß war, sprangen die Forellen hinein und führten dort Freudentänze auf. Den Herren aus dem Gefolge der drei Könige wurde es unheimlich. Und dann geschah etwas, das fast noch schrecklicher war als der fröhliche Forellentanz in der Bratpfanne: In dem tiefen Wald rundum bewegte sich plötzlich kein Ästlein, kein Blättchen, kein Windhauch regte sich. Aber gleich darauf erhob sich aus der Tiefe des finsteren Plöckensteiner Sees ein Sausen und Brausen. Wellen schlugen heftig ans Ufer und eine Stimme rief: „Es sind noch nicht alle zu Hause!“ Den Herren aus dem Gefolge der drei Könige stiegen die Haare zu Berge. Der Beherzteste unter ihnen ergriff die Bratpfanne mit den tanzenden Forellen und leerte sie eilig in den See. Dieser zischte und brauste noch eine Weile. Erst als alle Fische in der Tiefe verschwunden waren, glättete sich der Spiegel des Sees und der Wald regte sich wieder. Hinter einem Busch hüpfte ein Moosweibchen hervor, uralt und mit hellen Augen, und sagte zu den Herren: „Meldet euren Königen auf ihren drei Sesseln: Wir brauchen sie nicht! Der Wald ist älter als sie und weiser.“ Dann verschwand das Weiblein. Die Herren saßen eine Weile wie betäubt, dann gingen sie zu ihren drei Herrschern zurück auf den Dreisesselberg und berichteten ihnen, was sie erlebt hatten und was das Moosweiblein gesagt hatte. Da erhoben sich die drei Könige von ihren drei Sesseln und gingen fort und kamen nie wieder.
Diese Sagen stammen aus dem Buch „Sagen aus Österreich“
von Friedl Hofbauer, 196 Seiten, G&G Verlag; ISBN-13: 978-3-7074-2471-3