Dr. Medicus Historicus: Englischer Schweiß

Die Coronapandemie ist für die meisten Menschen die erste Pandemie, die sie selbst ­hautnah miterleben, doch es ist nicht die erste der Weltgeschichte. Pandemien und weit verbreitete Krankheiten, an denen Millionen von Menschen erkrankten und auch sehr viele verstarben, tauchten in den letzten Jahrhunderten regelmäßig auf. Durch den medizinischen Fortschritt wie Impfungen, die Entwicklung von Antibiotika und vieles mehr konnte den meisten dieser Erkrankungen der Schrecken genommen werden. Einige sind komplett von der Bildfläche verschwunden, andere kommen nur noch in weit geringerem Ausmaß vor und lassen sich heutzutage gut behandeln. Im Jahr 2022 möchten wir Ihnen in jeder Ausgabe eine Erkrankung vorstellen, die in den letzten Jahrhunderten zahlreiche Menschenleben forderte und die Medizinerinnen und Mediziner vor gewaltige Herausforderungen stellte. Unser fiktiver Mediziner Dr. Medicus Historicus nimmt Sie mit auf eine Reise in die Vergangenheit und beleuchtet wichtige Ereignisse der Medizingeschichte.

Englischer Schweiß

Lithografie eines Adelingen in England im 16. Jahrhundert. Englischer SchweißEine unbekannte Seuche, die schneller tötete als die Pest, erfasste vor über 500 Jahren England. Der sogenannte „sudor anglicus“, bzw. Englischer Schweiß, versetzte die Menschen in Angst und Schrecken. In mehreren Wellen überschwemmte diese Krankheit im 15. und 16. Jahrhundert weite Teile der Insel, bevor sie, so schnell wie sie gekommen war, wieder verschwand. Bis heute rätselt man in medizinischen Fachkreisen über die Ursache dieser Plage.

Wir schreiben das Jahr 1485. Der Arzt Thomas Le Forrestier schlendert durch London und berichtet von mit Leichen übersäten Straßen. Die Menschen fallen reihenweise, beinahe wie vom Blitz getroffen, zu Boden und versterben innerhalb kürzester Zeit. Einen Grund für dieses Massensterben können die Mediziner der damaligen Zeit nicht finden. Besonders mysteriös ist, dass die Krankheit, die schon bald den Namen „Englischer Schweiß“ (auch „Englisches Schweißfieber“, „Englische Schweiß Krankheit“) bekommen wird, häufig bei eigentlich gesunden Personen auftritt. Viele Opfer sind junge Soldaten. Im Abstand von einigen Jahren taucht die Krankheit immer wieder auf und sorgt für viel Leid. Im Sommer 1518 wütet die gnadenloseste Welle. Man sagt, dass innerhalb weniger Monate in manchen Gemeinden bis zu einem Drittel der Bevölkerung der Krankheit erliegt. In den folgenden Jahren breitet sich die Seuche entlang der großen Handelswege auch auf dem Kontinent aus. In dieser Zeit erreicht die Bedrohung das Baltikum und dringt bis nach Wien vor.

Auch vor Adeligen machte der „Englische Schweiß“ nicht Halt. Einige verstarben, andere flüchteten vor der Krankheit auf ihre ländlichen Anwesen fernab von London. Ähnlich wie bei der Spanischen Grippe starben sehr viele Männer und Frauen im besten Alter.

Die Krankheit kannte kein Pardon

Gemälde, gemaltes Bild von William Shakespeare auf der Watermills-Brücke. London Bridge im Hintergrund. 16. Jahrhundert
William Shakespeare war einer der Zeitzeugen des Englischen Schweißes. Zum Opfer dieser Plage wurde er glücklicherweise nicht.

Übel riechender Schweiß, der als Namensgeber für diese Krankheit fungierte, Fieber, heftige Kopf- und Kreuzschmerzen sowie Abgeschlagenheit waren einige der typischen Symptome des „Englischen Schweißes“. Wo immer die Krankheit auftrat, sorgte sie für Tod und Elend. Allem Anschein nach war kein Kraut dagegen gewachsen. Die Mediziner versuchten zwar, mit allen zur damaligen Zeit vorhandenen Mitteln wie Schwitzkur, Abführmitteln oder Aderlass gegen den „sudor anglicus“ anzukämpfen, in vielen Fällen blieb es allerdings bei erfolglosen Versuchen. Als letzten Ausweg sahen viele Stadtbewohner/innen die Flucht auf das Land, doch dem Englischen Schweißfieber entkam man nicht so einfach. Ganz im Gegenteil breitete sich die Krankheit dadurch erst recht von den Städten in die bis dato verschont gebliebenen entlegeneren Gegenden aus.

Die Ursache bleibt weiterhin im Verborgenen

Schwarz-weiß-Foto eines Arztes, der einen Patienten behandelt. Retro Hintergrund. Englischer Schweiß
Die Krankheit verschwand in der Mitte des 16. Jahrhunderts so plötzlich, wie sie Jahrzehnte zuvor aufgetaucht war. In der Wissenschaft bezeichnet man eine Erkrankung, die quasi aus dem Nichts auftaucht, als „Emerging Disease“. Welcher Erreger vor einem halben Jahrtausend das Englische Schweißfieber auslöste, ist bis heute ungeklärt.

Bis zum heutigen Tage konnte nicht zweifellos geklärt werden, was der „Englische Schweiß“ tatsächlich war und wie es zu dieser Plage biblischen Ausmaßes gekommen war. Zur damaligen Zeit wurde über vergiftetes Wasser spekuliert und natürlich auch über eine Strafe Gottes. In den folgenden Jahrhunderten wurden immer wieder Untersuchungen angestellt, um die tatsächliche Ursache zu eruieren. In den Verdacht kamen unter anderem Hantaviren und das Louping-ill-Virus, allerdings konnten diese und weitere Vermutungen niemals bestätigt werden. Da der letzte massive Ausbruch im Jahr 1551 stattfand und die Krankheit kurz danach plötzlich verschwand, werden wir wohl niemals die wahre Ursache in Erfahrung bringen. Raum für Spekulationen bleibt somit für alle Ewigkeit.

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