Dr. Medicus Historicus: Skorbut

Die Coronapandemie ist für die meisten Menschen die erste Pandemie, die sie selbst ­hautnah miterleben, doch es ist nicht die erste der Weltgeschichte. Pandemien und weit verbreitete Krankheiten, an denen Millionen von Menschen erkrankten und auch sehr viele verstarben, tauchten in den letzten Jahrhunderten regelmäßig auf. Durch den medizinischen Fortschritt wie Impfungen, die Entwicklung von Antibiotika und vieles mehr konnte den meisten dieser Erkrankungen der Schrecken genommen werden. Einige sind komplett von der Bildfläche verschwunden, andere kommen nur noch in weit geringerem Ausmaß vor und lassen sich heutzutage gut behandeln. Im Jahr 2022 möchten wir Ihnen in jeder Ausgabe eine Erkrankung vorstellen, die in den letzten Jahrhunderten zahlreiche Menschenleben forderte und die Medizinerinnen und Mediziner vor gewaltige Herausforderungen stellte. Unser fiktiver Mediziner Dr. Medicus Historicus nimmt Sie mit auf eine Reise in die Vergangenheit und beleuchtet wichtige Ereignisse der Medizingeschichte.

Skorbut (Scharbock)

Gemaltes Portrait von Vasco da Gama
Vasco da Gama verlor angeblich auf einer seiner Expeditionen
100 von 160 Seeleuten durch Skorbut!

Die Seefahrer der vergangenen Jahrhunderte zählten wohl zu den mutigsten Männern ihrer Zeit. Auf ihren Expeditionen fürchteten sie weder die raue See noch feindliche Schiffe oder Ungeheuer, die damals in den unergründlichen Tiefen vermutet wurden. Dennoch kehrte oftmals nur ein Bruchteil der Besatzung heil in den Heimathafen zurück. Verantwortlich dafür waren allerdings nicht immer Stürme, Piraten oder gar Monster, sondern eine mysteriöse Erkrankung.

Wir schreiben das Jahr 1492. Christoph Kolumbus macht sich mit seinen Mannen und drei Schiffen auf den Weg nach Indien. Sein Ziel erreichte er zwar nicht (obwohl er das bis an sein Lebensende glaubte), dafür entdeckte er einen bis dato unbekannten Kontinent. Wie sich später herausstellte, war dieser zu jenem Zeitpunkt schon bewohnt, und andere Seefahrer hatten bereits vor Kolumbus dort Halt gemacht. Dennoch gilt das Jahr 1492 bis heute als prägendes Datum für den amerikanischen Kontinent. In See stach Kolumbus mit seinen Gefährten übrigens am 3. August 1492 vom andalusischen Huelva aus und landete am 12. Oktober 1492 auf der heute zu den Bahamas gehörenden Insel Guanahani. Trotz der langen Reise verlor bei dieser Überfahrt angeblich keines seiner mehr als 90 Besatzungsmitglieder das Leben. Sollte dies tatsächlich so gewesen sein, war es eine absolute Ausnahme. Bei zahlreichen Expeditionen zur damaligen Zeit war nämlich der Tod in Form einer tückischen Krankheit stets mit an Bord.

Vitamin C wird als „Ascorbinsäure“ bezeichnet, was so viel wie „Vermeidung von Skorbut“ bedeutet. Erst im 18. Jahrhundert erkannte man, dass Skorbut eine ernährungsbedingte Krankheit ist, und setzte Sauerkraut sowie Zitrusfrüchte als wirksame Gegenmittel ein.

Skorbut machte den Seefahrern zu schaffen

Illustration eines antiken Schiffs. Piratenschiff. Seehfaherschiff. Schiff
Todesmutig schifften die Seefahrer wochenlang auf hoher See, weit weg von ihrem Heimatland – und
das meist für einen mehr
als mickrigen Sold.

Gesund, frohen Mutes und wohlgenährt starteten die Seemänner ihre Expeditionen, doch bereits nach wenigen Wochen an Bord tauchten oftmals die ersten Beschwerden auf. Sie klagten über Muskelschmerzen, ständig blutete die Nase, Flecken machten sich auf der Haut breit und die Männer wurden langsam immer schwächer. Schlussendlich versagten die Organe, und für viele wurde das Meer zum nassen Grab. Das auffälligste Merkmal dieser Krankheit, die später den Namen „Skorbut“ (lat. scorbutus für „Mundfäule“) erhalten sollte, zeigte sich jedoch im Mund. Das Zahnfleisch faulte förmlich vor sich hin, innerhalb kürzester Zeit verloren die Zähne jeglichen Halt und fielen nach und nach aus, bis die Plage auch den letzten Zahn gefordert hatte. Natürlich machte sich aufgrund dieser Krankheit Unsicherheit an Bord breit. Viele glaubten anfangs an eine ansteckende Seuche, die von Seefahrer zu Seefahrer verbreitet wurde – doch dem war nicht so.

Vitaminmangel als Ursache von Skorbut

Schwarz-weiß-Zeichnung von Seefahrern im Schiff auf See, die sich unterhalten. Skorbut
Die Wochen auf hoher See forderten ihren Tribut. Die Zähne der Seeleute faulten regelrecht vor sich hin und die Kraft schwand aus ihren Gliedern – bis Gevatter Tod ihnen schlussendlich das Leben entriss.

Seemänner hatten zu Kolumbus’ Zeiten ein schweres Leben. Alkohol gab es für gewöhnlich zwar reichlich an Bord, das Essen allerdings war eintönig. Gefangener Fisch, harter Schiffszwieback und Pökelfleisch, das durch Salzen besonders haltbar gemacht wurde, waren die Hauptnahrungsquellen – ein Todesurteil für Abertausende Seemänner. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts erkannte der schottische Arzt James Lind, dass diese einseitige Ernährung die Ursache für das häufige Auftreten von Skorbut war (genauer gesagt war es der Mangel an Vitamin C). Lind behandelte erkrankte Seeleute mit Vitaminen in Form von Zitrusfrüchten und stellte alsbald fest, dass sich die Leiden und die Fäulniszustände in der Mundhöhle besserten und die Seefahrer wieder Lebensmut und Kraft zurückgewannen. Einer der ersten Profiteure dieser Erkenntnis war übrigens der berühmte Seefahrer James Cook. Bei jeder Ausfahrt eines seiner Schiffe waren Unmengen an Sauerkraut und Zitrusfrüchten an Bord. Damit konnte man die Seefahrerkrankheit Skorbut besiegen. Heute gilt dieses Leiden praktisch als besiegt. Treten allerdings irgendwo Hungersnöte auf, kommt es immer wieder zu Fällen von Skorbut.

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