Der Wassermann bei Stockerau

Sagen aus Österreich: Teil 4 Niederösterreich – Die Sage hat sich in Stockerau zugetragen.

Nahe Stockerau stand einmal eine Mühle. Daneben lag ein Teich, in dem ein Wassermann wohn­te. Manchmal am Abend stieg der Wassermann aus dem Wasser und hopste zu einem kleinen Verschlag neben der Mühle, in dem der Müller allerhand Kram aufbewahrte. Der Wassermann machte in dem Verschlag ein Feuerchen an und briet Fische.
Dem Müller war das nicht recht, denn der Fischgeruch zog sich in die Mühle hinein, und dann roch das Mehl nach gebratenem Fisch. Aber er konnte dagegen nichts tun, denn der Wasser­mann hätte ihm sonst die ganze Mühle unter Wasser gesetzt.
Eines Tages war in Stockerau Kirtag und ein Bärenführer zeigte auf dem Marktplatz die Tanzkünste seines riesigen Bären. Gegen Abend suchte er ein Nachtquartier für sich und sein Tier, denn er wollte bis zum nächsten Tag bleiben. Weil er aber in Stockerau und auch in den umlie­genden Dörfern kein Quartier gefunden hatte, versuchte er es bei der Mühle, und der Müller bot dem Bärenführer und seinem Bären den kleinen Verschlag neben der Mühle als Nachtquartier an. Der Bärenführer und sein Bär machten es sich in dem kleinen Raum bequem.

Illustration des Wassermann von Stockerau. Wassermann mit Wasserfass. Der Wassermann bei StockerauAber eben an diesem Abend kam auch der Wassermann. Er merkte nicht, dass da schon zwei schliefen, machte sein Feuerchen an und begann, Fische zu braten. Der Geruch der bratenden Fische weckte den Bären auf.
Der Wassermann, dem keine Ahnung davon kam, es könnte noch jemand im Raum sein, wendete eben einen großen, leckeren Fisch über seinem Feuerchen – da sah er plötzlich eine rie­sige Pranke, die über seine Schulter nach dem Fisch langte. Blitzschnell drehte er sich nach dem Fischräuber um. Da sah er ein großes, zottiges Ungeheuer, das noch dazu unwillig zu brummen anfing. Dem Wassermann wurde angst und bang und mit lautem Quaken flüchtete er sich zurück in den Mühlteich. Der Bär fraß die gebratenen Fische auf und legte sich wieder schlafen.
Der Bärenführer hatte von alldem nichts gemerkt. Als er aber am Morgen das verglimmende Feuer und verstreute Fischreste fand, fragte er den Müller, was denn das bedeuten sollte.

„Das war mein Wassermann“, erklärte der Müller und erzählte dem Bärenführer von dem lästigen Wassergeist.
Der Bärenführer glaubte ihm aufs Wort. „Ich könnte Euch noch viel seltsamere Dinge erzäh­len“, sagte er. „Wenn man mit einem Bären im Land herumzieht, erlebt man die wunderlichsten Abenteuer!“ Er verabschiedete sich und zog mit seinem Bären weiter.
Der Müller kehrte die Fischreste und die Feuerasche aus dem Verschlag, und dabei schien es ihm, es röche jetzt mehr nach Bär als nach Fisch.
Als der Müller beim Mittagessen saß, schaute der Wassermann zum Fenster herein und fragte: „Wohnt die große Katze noch immer bei dir?“ Der Müller sah die Angst in den Augen des Wassermanns, und ihm fiel plötzlich ein, wie er den lästigen Wassergeist für immer loswerden könnte. „Ja“, sagte er. „Die Katze wohnt jetzt da. Und zwei Junge hat sie auch gekriegt!“
Da machte der Wassermann eiligst kehrt und hopste davon und ist nie wieder Fisch braten gekommen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: