Dr. Medicus Historicus: Antoniusfeuer

Nachdem er im Jahr 2022 den großen Pandemien der Menschheitsgeschichte auf den Grund gegangen ist, wirft der hochgeschätzte Dr. Medicus Historicus dieses Jahr ein Auge auf die häufigsten Todesursachen vergangener Tage. Den Beginn macht eine Vergiftung, die über Jahrhunderte hinweg zahlreichen Menschen den Tod bescherte: das Antoniusfeuer.

Antoniusfeuer

Bild des Hl. Antonius. Antoniusfeuer brennt neben ihm
Da die Erkrankten das Gefühl hatten, innerlich zu verbrennen, erhielt das Leiden schließlich den Namen „Antoniusfeuer“ bzw. „Heiliges Feuer“.

Eine rätselhafte Krankheit raffte über Jahrhunderte in Europa Tausende Menschen dahin. Die Leidenden hatten das Gefühl, von innen heraus zu verbrennen, ihre Gliedmaßen verfaulten und wurden schwarz wie Kohle. Schuld daran war, wie man heute weiß, das tödliche Mutterkorn.

Wir schreiben das Jahr 1072 nach Christi Geburt. Hildegard, ihr Mann Peter und die acht Kinder sitzen in der wohlig gewärmten Küche und begrüßen den neuen Tag mit einem Gebet. Niemand der zehnköpfigen Familie ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass dies das letzte gemeinsame Gebet sein wird. Verantwortlich dafür sind der Getreidebrei und das Brot. Diese Nahrungsmittel sollten eigentlich Kraft für den kommenden Tag spenden, doch anstatt Energie versprüht die Nahrung Gift – Gift in Form eines Mutterkorns.

Das giftige Mutterkorn

Das Mutterkorn ist ein giftiger Pilz, der vor allem den Roggen befällt. Wie ein zu groß geratenes, schwarzes Getreidekorn ragt er aus der Ähre heraus, weshalb man ihn im Mittelalter fälschlicherweise für eine besondere Variante des Roggens hielt. Insbesondere in nassen und kühlen Sommern kam es zu einem verstärkten Befall des Getreides durch den Mutterkornpilz. Wurde dieser vor der Verarbeitung nicht sorgfältig ausgesiebt, gelangten die Mutterkörner ins Mehl und das Gift anschließend über die Nahrung in den Körper. Die Mutterkornalkaloide, die der Pilz produziert, führen zu starken Gefäßverengungen, wodurch Extremitäten und innere Organe nicht mehr ausreichend durchblutet werden. Schon nach kurzer Zeit tauchen die ersten Beschwerden wie ein Unwohlsein auf, der Körper scheint von innen heraus zu brennen. In weiterer Folge sterben die Glied­maßen ab und es droht ein Atem- und Herzstillstand. So erging es Peter, der bereits wenige Tage nach den ersten Anzeichen einer Vergiftung das Zeitliche segnete und seine Frau Hildegard als Witwe sowie die acht Kinder als Halbwaisen hinterließ. Glücklicherweise hatten die Kinder wie auch die Mutter nur sehr wenig von dem vergifteten Brot verzehrt.

Mutterkorn ih Ähre
Das Mutterkorn ist ein giftiger Pilz, der vor allem den Roggen befällt.

Die Ärzte waren ratlos

Da die Mediziner zur damaligen Zeit keine Antwort auf die Leiden der Erkrankten hatten, suchten die Betroffenen – wie so oft – Zuflucht im Glauben. Sie beteten unter anderem zum heiligen Antonius und erhofften sich Erlösung von dieser unerklärlichen Plage. Die Bezeichnung „Antoniusfeuer“ stammt übrigens aus dem Mittelalter und erinnert an die dämonischen Qualen des heiligen Antonius. Ob das Beten tatsächlich Abhilfe schaffte, sei dahingestellt. Eine spezielle Rolle in der Heilung des Antoniusfeuers kam den Antonitern zu, einem im 11. Jahrhundert entstandenen Hospitalorden.

Obwohl die Ursache bereits im Jahre 1630 vom französischen Arzt Thuillier erkannt wurde, traten die Vergiftungen auch weiterhin bis zum Ende des 19. Jahrhunderts regelmäßig in Europa auf und sorgten für viel Leid bei den Betroffenen.

Heilung dank Wein und Heilkräutern?

Brennendes Feuer. Antoniusfeuer. Feier zu Ehren des Hl. Antonius in Spanien
Noch heute wird vielerorts alljährlich zur Abwehr des Antoniusfeuers und anderer Übel gefeiert.

Ein Heilmittel der Antoniter gegen das Antoniusfeuer war der Antoniuswein, dem Heilkräuter beigemengt wurden. Diese sorgten dank der harntreibenden und abführenden Wirkung für eine rasche Entgiftung des Organismus. Die externe Behandlung der eitrigen Geschwüre erfolgte mit dem Antoniusbalsam, der allerlei Pflanzenwirkstoffe enthielt. Wie wertvoll diese Heilmittel tatsächlich waren, ist heutzutage umstritten. Viel wirkungsvoller war wohl die Tatsache, dass die Kranken in den Ordenshäusern sauberes Brot zu essen bekamen, das frei von Mutterkorn war, wodurch die Vergiftung mit der Zeit abklang. In vielen Fällen erholten sich die Betroffenen, genau wie Hildegard und ihre acht Kinder, vollständig von dieser rätselhaften Plage. Dem Ergotismus, wie eine Mutterkornvergiftung medizinisch bezeichnet wird, muss auch heute noch Beachtung geschenkt werden. Zwar ist das Risiko von verunreinigtem Getreide gering, jedoch kann auch die Einnahme von Medikamenten, die Mutterkornalkaloide und deren Derivate enthalten, für Vergiftungen sorgen.

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