Friedl mit der leeren Tasche und das Goldene Dachl

Sagen aus Österreich: Teil 5 Tirol – Nahe Landeck bezog Friedl ein Nachtlager.

Im Jahr 1415 wurde der Landesfürst von Tirol, Herzog Friedrich von Österreich, von seinen Feinden aus dem Land vertrieben und führte eine Zeit lang ein abenteu­erliches, für einen Herzog recht ungewöhnliches Leben. Er hatte nun keine Macht mehr und auch kein Geld, und seine Feinde nannten ihn deshalb voll Spott den „Friedl mit der leeren Tasche“. Sie schickten Spione nach ihm aus, um ihn zu fangen und dann Lösegeld von ihm zu erpres­sen. „Wenn der Friedl auch kein Geld hat“, sagten sie, „so hat er doch reiche Freunde, die für ihn bezahlen werden.“ Der Friedl mit der leeren Tasche wollte sich aber nicht fangen lassen. So verkleidete er sich und zog als wan­dernder Sänger und Spielmann singend von Ort zu Ort durch Tirol.
Anfangs erkannte ihn niemand als den Herzog des Landes. Eines Tages aber kam er auf seiner Flucht in die Gegend um Landeck zu einem Bauernhof und bat dort um ein Nachtlager auf dem Heuboden oder im Stall. Der Bauer lud den Unbekannten zum Nachtmahl ein. Zum Dank für erwiesene Gastfreundschaft pflegte der als Sänger verkleidete Herzog ein Lied zu singen. Diesmal sang er eines seiner traurigsten Lieder: das Lied von einem aus seinem Land gejagten Fürsten, der heimatlos herumirrt. Die Bauersleute mussten an ihren eigenen Herzog denken, der ja auch heimatlos herumirrte, und fingen, wie die Sage berichtet, zu weinen an. Als nun der Spielmann sie fragte, warum sie denn weinten, erzählten sie ihm von dem bitteren Schicksal ihres Herzogs Friedl. Friedl mit der leeren Tasche war gerührt von der treuen Liebe seiner Tiroler Bauern zu ihrem Landesherrn und gab sich ihnen zu erkennen. Die Bauersleute zeigten sich so glücklich, ihren Landesfür­sten, den sie schon für tot gehalten hatten, noch am Leben zu sehen, dass der Friedl mit der leeren Tasche neuen Mut fasste und wieder glaubte, sein Schicksal könne sich noch ändern.
Herzog Friedrich wollte sich nun nach Südtirol wen­den. Dort wusste er einen Freund, der ihm vielleicht Schutz und Hilfe gewähren konnte. Mit der Hilfe von Bauern und Hirten, die ihm den Weg zeigten, zog Friedrich nach dem Süden. Leere Taschen hatte er frei­lich immer noch, und seine Feinde waren ihm immer noch auf der Spur. So legte der vertriebene Landesfürst seine Spielmannskleider ab und verwandelte sich in einen Hirten. Er soll eine Zeit lang in den Bergen Schafe gehütet haben. Sein Ziel, die Herrschaft über Tirol zurückzugewinnen, verlor er aber nicht aus den Augen und zog weiter in Richtung Südtirol.
Nun hatten ihn Spione, die immer noch nach ihm suchten, eines Tages wieder aufgespürt. Sie hätten den Herzog beinahe gefangen, denn sie hatten erkundet, dass er eben beim Hendlmüller Unterschlupf gefunden hatte. Sie umzingelten bereits das Haus.
Da versteckte der Hendlmüller seinen Herzog in einer Fuhre Mist und fuhr ihn damit weg an einen sicheren Ort. Und die Spione kriegten ihn nicht.
Als Herzog Friedrich mit der Hilfe seiner Getreuen seine Macht zurückgewonnen und auch keine leeren Taschen mehr hatte, machte er den Hendlmüller zum Grafen. Der durfte sich von da an Graf Hendl nennen. Er gründete das Geschlecht der Grafen Hendl und durfte ein Mühlrad im Wappen tragen.
Weil der Friedl mit der lee­ren Tasche nun wieder reich war und das auch zeigen wollte, ließ er am Neuhof, der früheren Burg in Innsbruck, einen Erker aus Marmor anbauen und das Dächlein darauf, das „Dachl“, mit vergoldeten Kupferschindeln decken.
Das Goldene Dachl in Innsbruck ist eine weltbekannte Sehenswürdigkeit geworden. Den Friedl mit der leeren Tasche aber hat man trotzdem – oder viel­leicht grade deshalb – nicht vergessen.


„Friedl mit der leeren Tasche und das Goldene Dachl“ ist eine Sage aus dem Buch „Sagen aus Tirol“
von Friedl Hofbauer, 88 Seiten, G&G Verlag; ISBN: 978-3-7074-2380-8

Cover des Buches "Sagen aus Tirol" mit "Friedl mit der leeren Tasche und das Goldene Dachl


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